"Direkter Handel" ist ein Begriff mit dem wir uns immer wieder rühmen. Er hat eigentlich kaum mehr Aussagekraft, weil er zu oft ohne Nachzudenken verwendet wird. Auch von uns. Darum werden wir in diesem Artikel anhand unserer Zusammenarbeit mit der Hacienda Sajonia in Nicaragua mal richtig konkret. Wir zeigen, wie wir auf verschiedenen Ebenen versuchen, den Kaffeebauern zu helfen. Es geht nämlich um viel mehr als «nur» darum, Rohkaffee zu kaufen. Vielmehr versuchen wir Sinn zu stiften für den Kaffeebauern, den Händler, den Röster und auch den Endkunden. Der Kaffee soll für alle (be)greifbar werden.
Aber vorab erst mal ein paar Eindrücke von der Hacienda Sajonia in Nicaragua (die tollen nachfolgenden vier Bilder wurden von Bram de Hoog geknipst):
Die Hacienda Sajonia liegt in Nicaragua (Google Maps) und wird seit 2010 von den zwei Brüdern Matt und Tom Hills geführt. Matt und Tom kommen aus England und leben an verschiedenen Orten. Teilweise in Nicaragua, in Frankreich und in London. Tom lebte auch einige Zeit in Deutschland, Brasilien und Russland und spricht dementsprechend viele Sprachen. Die Plantage wird vorbildlich mit starkem Fokus auf sozialer, ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit geführt. In den letzten Jahren haben Matt und Tom zahlreiche Verbesserungen eingeführt wie z.B. Dieselgeneratoren durch Solaranlage ersetzt, eine Wasser-Recycling-Anlage installiert, jährliche Reinigung und Reparatur von Gebäuden eingeführt, Elektrizität und Maschinen in der Aufbereitungsanlage erneuert, etc.). Mehr Details gibt's hier: http://haciendasajonia.com
Die Vorgeschichte:
Die letzten Jahre haben wir mit unserem Freund, Kaffeebauer und Exporteur (Expocamo) Francisco Valle aus Jinotega zusammengearbeitet. Wir haben Kaffee von Francisco gekauft und geröstet. Im Jahr 2017 hat uns Francisco gefragt, ob wir ihm helfen würden in Europa seinen Kaffee zu verkaufen. Sein Vertrauen ehrte uns, aber da uns die notwendigen Mittel fehlten in den Rohkaffeehandel enzusteigen, holten wir einen weiteren Freund mit ins Boot: Lennart Clerkx von This Side Up Coffees. Francisco und Lennart einigten sich rasch auf eine Partnerschaft und arbeiten seither erfolgreich und eng zusammen. Das war und ist ein Gewinn für alle Parteien: Francisco verkauft jetzt seinen Kaffee und den seiner Firma Expocamo in Europa, This Side Up ist unser Importeur und wir kommen einfach zu unserem Kaffee aus Nicaragua. Franciscos Expocamo hat sich einen fantastischen Ruf erarbeitet und im 2018 ein paar der besten Kaffees aus Nicaragua produziert.
Ernte 2017/2018
Mit der Ernte 2017/2018 begannen die Brüder Matt und Tom Hills ihren Kaffee von der Hacienda Sajonia zu Expocamo zu liefern. Dadurch gelangten ihre Kaffeemuster (mit etlichen anderen) erstmals auf unseren Verkostungstisch. Wie immer degustierten wir alle Kaffeemuster in einer Blindverkostung. Wir wussten also nicht wer die Kaffees produziert hatte oder um welche Varietäten es sich handelte. Matts und Toms Kaffee unterschied sich deutlich von den anderen: Starke Noten nach Grün- und Schwarztee mit etwas Zitrus waren dominant und einfach zu schmecken. Ein sehr sauberer aber gleichzeitig intensiver und schwerer Kaffee mit vollem Körper. Ganz wunderbar und aussergewöhnlich. Die Kaffeevarietät Java ist selten in Mittelamerika, was den Kaffee umso interessanter machte. Ein glücklicher Moment für einen kleinen Kaffeeröster im beschaulichen Emmental. Wir haben Matts und Toms Java also in unser Sortiment aufgenommen und die beiden informiert, dass wir Ihren Kaffee ab Sommer 2018 in der Schweiz rösten und verkaufen würden. Mit einem kleinen Spezialitätenröster aus der Schweiz zusammenzuarbeiten hat die beiden gefreut. Und wir waren nicht weniger glücklich darüber.
Das liebe Geld!
Ende 2018/Anfangs 2019 kontaktierten mit Matt und Tom weil, sie immer noch auf das Geld für den Kaffee aus der Ernte 2017/2018 warteten. 2018 war ein schwieriges, hartes und trauriges Jahr für Nicaragua. Viele Proteste der Bevölkerung gegen die Regierung Ortega führten zu chaotischen Zuständen. Sowohl auf den Strassen der Städte wie auch im finanziellen Sektor. Für Bauern und Firmen war es zeitweise unmöglich Kredite von Banken zu erhalten. Das führte zu gravierenden Engpässen. Durch die fehlenden finanziellen Mittel wurde die nächste Ernte gefährdet, da in Investitionen in Equipment nötig wurde und die Pflücker bezahlt werden mussten. Wir haben (ganz im Sinne einer langfristigen Partnerschaft) angeboten, eine Vorauszahlung zu leisten für Kaffee, den wir (voraussichtlich) im Sommer 2019 kaufen würden. Glücklicherweise war das dann aber nicht notwendig und sie konnten das selbständig regeln. Wir kennen noch heute nicht die ganze Geschichte, und wissen nicht was genau vorgefallen ist. Die Zusammenarbeit zwischen den Brüdern Hills und Expocamo war damit jedoch erledigt. Das akzeptieren wir natürlich (wenn auch mit einem weinenden Auge).
Ernte 2018/2019
Im Frühling 2019 haben wir von der Hacienda Sajonia erstmals direkt Muster verschiedener Varietäten erhalten. Die Ernte 2018/2019 war qualitativ besser als im Vorjahr. Richtig begeistert hat uns wiederum der Java. Zwei Lots zu total 9 Sack à 69kg standen zur Auswahl. Beide waren geschmacklich sehr ähnlich. Also haben wir einfach beide Lots eingekauft. Das entspricht der gesamten Produktion der Varietät Java, die Hacienda Sajonia produziert. Da wir von der Qualität begeistert waren, haben wir uns auf einen Einkaufspreis (Free on Board) von 10 resp. 8 USD pro Kilo geeinigt (siehe dazu unseren Transparenzbericht 2019). Dieser Preis entspricht einem Mehrfachen der aktuelle Fair Trade Minimumpreise.
Von Nicaragua nach Adelboden
Im 2018 durften wir ihm Rahmen eines Coachings die Eröffnung der Rösterei Adelboden begleiten. Dazu haben wir auch unsere eigenen Rohkaffees für die Erströstungen zur Verfügung gestellt. Einer dieser Kaffees war der Java der Hacienda Sajonia. Die teeähnlichen Aromen passten ausgezeichnet in das Sortiment der Rösterei Adelboden.
Im Sommer 2019 haben wir für die Rösterei Adelboden eines der beiden oben erwähnten Lots exklusiv importiert. Natürlich alles fair und transparent gehandelt. Wenn wir für andere Importieren gehört Fairness mit dazu. Ehrensache!
Von dieser super Zusammenarbeit profitieren nun alle: die Gebrüder Matt und Tom Hills, die Familie Hari von der Rösterei Adelboden sowie wir, die Familie Wittwer von der KAFISCHMITTE. "Win-Win-Win" nennt man das wohl!
Vom Kaffee zum Wein
Im Oktober 2019 waren wir ferienhalber in Südfrankreich unterwegs. Tom Hills ist nicht nur Teilhaber der Kaffeeplantage in Nicaragua sondern auch noch Inhaber des kleinen Weingutes "Domaine La Lauzeta" nahe Béziers in Südfrankreich. Tom produziert dort seit 2015 im sehr kleinen Rahmen vor allem Rotweine. Natürlich besuchten wir Tom auf dem Weingut mit der ganzen Familie. Unsere Töchter haben Trauben direkt von den Rebstöcken verkostet und die Erwachsenen in flüssiger Form aus dem Glas. Toms Leidenschaft und seine Liebe zu Details sind Gründe für die erstklassige Qualität des des Weins wie auch des Kaffees. Wir haben viel über die Parallelen von Kaffee- und Weinanbau gesprochen. Aber natürlich insbesondere auch über die Herausforderungen in Nicaragua. Gefühlt wichtiger war aber, dass wir Tom zwei Beutel seines Kaffees (für ihn und seinen Bruder) und zwei Verkostungslöffel mitgebracht haben. Es ist immer ein besonderes Highlight, wenn Kaffeebauern ihren eigenen Kaffee von "fremden" Röstern probieren können.
Wir haben natürlich dann auch etwas Wein mit in die Schweiz genommen. Die Familie Hari in Adelboden betreibt nämlich nicht nur eine Rösterei sondern auch eine Weinhandlung. Zufälle gibt's... Selbstverständlich haben wir auch Thomas Hari ein paar Flaschen La Lauzeta mitgebracht. Vielleicht ergibt sich ja neben dem Kaffee der Hacienda Sajonia auch noch eine Zusammenarbeit beim Wein von der Domaine La Lauzeta. Das wäre dann noch ein "Win" mehr. :-)
Von Nicaragua nach Bordeaux
Anlässlich unseres Treffens mit Tom Hills haben wir festgestellt, dass der Kaffee von Nicaragua vor allem in England und bei uns in der Schweiz verkauft wird. Da Tom Hills ja aufgrund seines Weinguts auch in Frankreich lebt, war es für uns naheliegend, dass der Kaffee auch in Frankreich verkauft werden sollte. Also haben wir Tom Hills und Angel Barrera von Belco einander vorgestellt. Belco ist ein Rohkaffeehändler in Bordeaux und Angel ist deren Rohkaffee-Einkäufer. Wir kennen Angel schon viele Jahre und schätzen ihn als Person sehr. Belco arbeitet zudem vorbildlich, was im Kaffeesektor immer noch selten ist. Den grössten Teil unserer Logistik-Aufgaben wickelt Belco für uns ab. Im Mai 2019 waren wir in Bordeaux zu Besuch und haben den Oreti aus Kenya wie auch den Chelchele aus Äthiopien eingekauft. Belco hilft den Kaffeebauern mit Handel aber auch mit Rat und Tat über Jahre hinweg. Eine Zusammenarbeit zwischen Hacienda Sajonia und Belco würde uns ausserdordentlich freuen. Dann könnten wir zukünftig mit den Hills Brüdern weiterhin direkt handeln und mit Belco importieren. Wieder ein "Win" für alle.
Weihnachtskaffee 2019
Der Hacienda Sajonia ist mit 40% der Hauptbestandteil in unserem Weihnachtskaffee "Du Glückskind" 2019. Die Noten nach Roibusch-,Schwarz- und Grüntee gepaart mit Zitrus sind wundervoll und passen ganz hervorragend zu Weihnachten und zur kalten Jahreszeit. Der Sajonia bringt zudem viel Süsse und eine einzigartige Klarheit in die Mischung. Aufgrund der guten Beziehung zu Matt und Tom freuen wir uns umso mehr, dass der Hacienda Sajonia der Weihnachtsröstung Ihren Charakter gibt.
Vorschau auf die Ernte 2019/2020
Der Kaffee der Ernte 2018/2019 ist schon fast weg und wir beschäftigen uns erneut mit der kommenden Ernte. Im Dezember 2019 beginnt bereits die Ernte, welche dann im Sommer 2020 in der KAFISCHMITTE eintreffen wird. Wir warten auf erste Muster direkt von der Plantage. Wie Tom uns verraten hat, werden wir auch neue, exotische Varietäten probieren können. Nach einer erneuten Blindverkostung werden wir dann entscheiden, welcher Kaffee den Weg in die KAFISCHMITTE und ganz bestimmt auch in die Rösterei Adelboden finden wird.
Wir freuen uns auf eine lange, tolle Zusammenarbeit in der Zukunft zwischen uns im Emmental, Matt und Tom in Nicaragua und der Familie Hari in Adelboden. Win, Win, Win, Win, Win, Win, ...
Was denkt Ihr darüber?
Was sollten wir anders oder besser machen?
Was würde Euch dazu interessieren?
Danke und bis bald.
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Mike (TOPWASSER) (Mittwoch, 27 November 2019 21:08)
Danke für die spannenden Einblicke. Ihr macht das wirklich toll. Ich finde die Einstellung wunderbar. Schön dass es Leute wie dich gibt.
Bin gespannt auf weitere schöne Berichte.
Grüsse vom Schwarzsee
Mike
Werren Chlöisu (Samstag, 07 Dezember 2019 12:38)
Sälü Roger u Familie,
i finge das höchst spannend wi dir das mached, Gratuliere! I nime mir vor um d'Wiehnacht ume cho ine zluge. Mir si denn ä paar Tag im Ämitau, sägmer doch no um weler Zyte dir ir Rösterei azträfe sid!
Ä liebe Gruss us Sarne
Chlöisu
Mike (noch ein Mike) (Donnerstag, 13 Februar 2020 18:09)
Hallo liebes Kafischmitte-Team
Ich bin wie Maria zum Kinde zum Kaffee gekommen. Erst habe ich Ende Dezember 2019 Nespresso nach über 20 Jahren adieu gesagt und mir eine E.S.E. Pod Maschine zugelegt. Eigentlich aus Gründen der Ethik (Néstlé nicht mehr mit Kapseln unterstützen zu wollen) und andererseits auch aus Gründen der Ökologie. Dann nahm das Glück seinen Lauf und ich kam zufällig an eine Siebträgermaschine. Nerd, der ich nunmal bin, habe ich gelesen, geforscht und eingesogen, was es einzusaugen gab und gibt. Bei euch habe ich meine Kaffeemühle bestellt und die Bestellbestätigung, die ich erhalten hatte war äusserst sympathisch. Nun, um euch kommt man einfach nicht herum, wenn man sich in der Schweiz mit Direct-Trade und fair gehandeltem Kaffee auseinandersetzt.
Durch die Kaffeemacher aus Basel, von denen ich begeistert bin, bin ich dann durch einen Podcast auf die Kafischmitte gestossen. Ihr dürft mit Recht Stolz auf euch sein und ich gratuliere euch zu eurem transparenten Geschäftsmodell. Sobald meine Bohnenvorräte aufgebraucht sind, werde ich bei euch im schönen Emmental vorbeischauen. Ich bin schon sehr gespannt auf euch Leute.
Vielen Dank für euer Engagement für fair gehandelten Kaffee, das ist schon lange nicht nur eine Notwendigkeit, sondern eine soziale Verpflichtung auch für mich als Kunden, einen höheren Preis in Kauf zu nehmen, damit der, der die Bohne anbaut und produziert nicht nur davon leben kann, sondern vielleicht auch ein kleines Häuflein für Investitionen in seine oder die Zukunft seiner Kinder auf die Seite legen kann. In diesem Sinne - Bravo.
Mit freundlichen Grüßen Mike